Fuck Back Harder by Misty Memoir - HTML preview

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Black Lives Matter

Ab und zu fährt sie in die nächste große Stadt und taucht ein in die Anonymität der Straßen. Heute zieht ein Gewitter auf. Menschen strömen auf die Straßen, und Wut entlädt sich.

Erst wenn sie sich völlig zurücknimmt, nehmen die Dinge von sich aus Form an. Eine Reihe von Enttäuschungen im Laufe ihres Lebens hindern sie daran, Lebensfreude zu empfinden. Sie hat sich mit der Beobachterrolle arrangiert.

Der Tag ist unförmig, alles ist trüb. Sie beobachtet einen Protest gegen die faschistische Techno-Digital-Diktatur. Das Ganze ist eine armselige Vorstellung.

Ein paar Figuren stehen herum mit Transparenten mit langweiligen Sprüchen darauf und unterhalten sich. Dann, kurz bevor der Himmel Blitze und Regen entlässt, strömen Hunderte Menschen auf den Platz.

Vor ihren Augen vermischen sich zwei verschiedene Demonstrationen. Die einen und die anderen.

Geschieht hier gerade etwas Historisches? Alles, was in diesen Tagen und Wochen des Hausarrests und des Zusammenbruchs geschieht, ist historisch.

Dessen ist sie sich vollkommen sicher.

Die wenigen weißen Diktaturgegner demonstrieren schon seit einigen Wochen gegen das Verbot, das Haus zu verlassen. Der Hausarrest ist eine von vielen Maßnahmen gegen die Seuche.

Seit dem Beginn der Proteste fährt sie jeden Samstag in die Stadt, um sie zu beobachten. Die ersten Demos waren bunt und fröhlich. Mit von der Partie waren Verschwörungstheoretiker, Nazis, meditierende Hippies, stinknormale Linke, Leute, die sich zu einem bekannten Hackernetzwerk zählten, die Julian-Assange-Befreiungsfront2, die Gegner der Pharmaindustrie und eine komische Grundgesetz-Lobby, die eindeutig die am wenigsten sympathische Gruppierung war. Zu viele Männer waren es. Und auf ihren Flugblättern zitierten sie rechte, männliche Politiker.

Die Grundgesetz-Nazis wurden von Woche zu Woche mehr. Als Bestechungsmittel bringen sie an diesem Gewittertag Bier und Grillwurst mit, was dankbar angenommen wird von Jung und Alt. Heute, an der fünften oder sechsten Veranstaltung, kann man sagen, dass es der Grundgesetz-Lobby gelungen ist, die Führung der Schafe an sich zu reißen. Alle Teilnehmer haben sich ein Büchlein andrehen lassen, das sogenannte Grundgesetz, und sie halten das dün-Julian Assange ist eine Art «Graf von Monte Christo». Der

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australische Journalist und Ex-Hacker half dabei, dass Kriegsverbrechen demokratischer Länder ans Licht kamen. Darum musste er für viele Jahre in einer Botschaft untertauchen. Dann wurde er in ein Hochsicherheits-gefängnis in London gesteckt. Literatur dazu im Anhang.

ne Büchlein jetzt brav in die Kameras der Fernseh-teams, die überall herumschwirren.

Dann, kurz vor dem Gewitter, strömen Hunderte von Schwarzen wie Ameisen auf den Platz und spülen die Wurstfaschisten vom Platz. Sie demonstrieren gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Mit einem Vertreter der Wurstlobby, einem ernsthaften, jungen, ziemlich biederen Mann, hatte sie vor zwei Wochen einen kurzen, peinlichen Schlag-abtausch, bei dem ihre männerfeindlichste Seite zum Vorschein gekommen war. Es war ihr später peinlich, und sie hatte sich vorgenommen, sich bei ihm zu ent-schuldigen, änderte aber ihre Meinung, als sie ihn zwei Wochen später in einem völlig neuen Outfit in der Menge entdeckte. Als Hippie verkleidet, mit Stirnband, Hawaii-Hemd und barfuß, stand er dort und wendete tote Tiere im Darm, die man Grill-würste nennt, auf einem Grill. Was für eine Täuschung! Ein Wolf im Schafspelz. Sicher wird der kleine Wurst-Söldner gut bezahlt für die Übernahme der Protestbewegung, dachte sie. Er gehört vermutlich sogar irgendeiner Partei der technofaschis-tischen Diktatur an.

Die Themenvielfalt, die in den ersten Demonstrationen gegen den Digitalfaschismus wie ein Blü-tenmeer das Auge streichelte, ging von Woche zu Woche verloren. Was blieb, war das dünne Büchlein der Grundgesetz-Bratwurst-Lobby.

Ein Einheit lässt sich am einfachsten herstellen mit einem Gesetz, das angeblich für alle gilt, einem Gesetz, das alle schön über einen Kamm schert.

Solche Lemminge lassen sich gut regieren von gesetzlosen Konzernen mit ihren Extrawurst-Ge-setzen und Gesetzeslücken. Sie lassen sich ihre Stimme und ihre Freiheit nehmen, indem sie wählen gehen und ihre Stimme verlieren, sie solidarisieren

sich mit der Diktatur und lassen sich Ketten legen: Stockholm Syndrom .

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Auch im reichsten Land der Welt, das jahrzehntelang mit einer gewitzten kapitalistischen und faschis-musfreundlichen Bankenpolitik sämtliche Kriege ausgelagert und sich vom Leib gehalten hatte, werden Proteste mit demselben Gummischrot und demselben Tränengas niedergeschlagen wie anderswo.

Sie beobachtet das Ganze aus einer sicheren Dis-tanz und trägt eine große Sonnenbrille. Ein anderer Schaulustiger fragt sie, wie sie die beiden Demonstrationen finde. Sie antwortet: «Fuck the police, das finde ich.» Die Polizei eskaliert und feuert Tränengas und Gummischrot in die Menge.

Sie hasst Polizisten. Drei von ihnen beobachtet sie auf dem Nachhauseweg, wie sie eifrig den Boden nach irgendwelchen Beweisstücken absuchen. Eine Schaufensterscheibe war zu Bruch gegangen. Sie sammeln ihren eigenen Gummischrot ein. Vielleicht hatten sie die Scheibe selbst kaputtgeschossen.

Während sie die uniformierten Männer beobachtet, spinnt sie sich einen Tagtraum zurecht. Dem Bullen, der den Asphalt nach Beweismitteln ab-sucht, schiebt sie einen fetten, schwarzen Gummi-dildo in den Hintern und filmt dabei sein Gesicht. Als V

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on 2019 bis 2025 starben insgesamt knapp drei Milliarden Menschen an Bill Greedys Anti-Seuchen-Pillen.

Die Regierungen drohten ihnen mit Hunger und Arbeitslager, wenn sie sich der Einnahme der Pillen widersetzten. Die meisten nahmen freiwillig teil an dem Menschenversuch des Clubs der Toten Wichser. Die Solidarisierung mit dem Täter Bill Greedy ist beispielhaft für das Stockholm Syndrom. Manche überlebten die Lager für Verweigerer. Wenige überlebten die Pillen von Bill Greedy. Das Experiment wurde erst mit der Zerstörung der Cloud beendet.

Snuff-Film ist das sicher eine ganze Menge wert im Dark Web. Ein bisschen Skandal in ihrem Kopf.

Das Gewitter ist fast vorbei. Jetzt regnet es. Die Demo ist für sie zu Ende. Bald ist sie zu Hause. Ihre letzten Schritte werden immer schwerer. Sie ist müde. Es ist die Erschöpfung infolge der Isolation, einer der gesundheitsschädigendsten Maßnahmen gegen die Seuche, unter der sie leidet. Sie bringt alles durcheinander, oben und unten ist für sie gleich. Sie nimmt beides ernst. «Ich bin eine Schande für mein Alter», denkt sie, als ihr plötzlich eine alte Frau einfällt, die fünf schwere Taschen mit Geduld und einem freundlichen Gesicht über den Steinplatz getragen hatte.

Die Seuche hat die Gesellschaft massiv verstört und in Aufruhr versetzt. Die Maßnahmen werden zunehmend infrage gestellt. Die Cloud beginnt sich aufzulösen. Man erinnert sich an die ganze Scheiße, die schiefläuft: Rassismus, Massenüberwachung, ver-giftete Nahrung, Luft, Pestizide, die alles aus dem Gleichgewicht brachten, und Medikamente, die mehr Schaden anrichteten, als dass sie halfen.

Zu Hause trinkt sie eine Tasse Kaffee mit Chili und Kardamom und sieht gedankenverloren aus dem Fenster. Alles ist grün. Vor ihrem Fenster wächst ein Hagebuttenstrauch. Jeden Morgen ist er das Erste, was sie sieht, wenn sie aufwacht.

Vor ihr inneres Auge schieben sich die Bilder von der Demonstranten und den Polizisten. Der Bulle, der Gummischrot einsammelte, war so versessen darauf, professionell zu sein und gleichzeitig entspannt zu wirken, dass sie ihn gerne gefickt hätte. Sie hätte ihn von seiner «Pflicht» abgelenkt. Ihn entladen, und wer weiß, vielleicht hätte sie ihn geheilt von seiner geisteskranken Berufung. Fuck the police.

Der Tod eines Verwandten weckt sie zwei Tage später aus ihrem Delirium. Ihre Cousine ist am Boden zerstört. Ihr Vater war mit dem Auto unter-wegs zu ihr und hatte Geschenke für den Enkelsohn gekauft. Er starb auf der Toilette einer Autobahn-raststätte.

So schnell, wie es passiert war, so schnell wurde er auch begraben. Und zwar gleich am nächsten Tag, wie es bei Muslimen der Brauch ist. Die Leiche wird gewaschen und in ein Tuch gewickelt und der Erde übergeben. Muslime werden nach ihrem Ableben von Würmern, Pilzen, Bakterien und anderen Viechern zerfressen.

Heutzutage ist es ein Wunder, dass es noch Fried-höfe gibt. Boden ist wie nach wie vor eine Goldgrube.

Um darauf hässliche Klötze zu errichten – die Blumen des Bösen – reißen sie Bäume aus, als seien es verfaulte Zähne, dann heben sie die Erde aus, ver-siegeln sie mit Beton und stellen einen quadratischen Betonblock darauf. Eine hohle Zahnkrone aus Beton, von der Menschen meinen, darin ewig leben zu können. In einem toten Zahn.

Der folgende Tag ist ein trüber, verregneter Sonntag. Trotzdem zieht es sie nach draußen. Sie öffnet den Sargdeckel, steht auf, putzt sich die Zähne, auch die toten, und macht einen Spaziergang.

Der Körper reagiert darauf, wenn die Moral sinkt, und zerfällt dann sehr schnell. Das Fleisch welkt, Zellulitis, Muskelschwund und faulende Gerüche sind Folgen von schlechten «Haftbedingungen».

Darum bewegt sie ihren Körper, auch wenn ihr innerer Schweinehund bellt wie ein Pinguin.

Sie schließt ihre Wohnungstür ab, macht die ersten Schritte. Der Graf von Monte Christo, Julian Assange, darf sich im Knast eine halbe Stunde täglich draußen bewegen und eine halbe Stunde telefo-

nieren. Den Rest seines Tages verbringt er in seiner Zelle in London.

Auf dem Gehweg liegt eine Atemschutzmaske mit Tierkot darauf. Sie macht ein Foto davon, das sie als Profilbild für ihr Überwachungsgerät verwendet. Der Tod kann so schnell kommen. Atemschutz ist ein Euphemismus. Geschützt wird nur das Establish-ment. Mundschutz macht krank. Pilze in der Lunge bekommt man davon und Husten. Paranoia. Und Nanopartikel in homöopathischen Dosen, bis man einknickt und alles tut, was einem gesagt wird.

Frauen im 19. Jahrhundert –

verdammt und zugenäht oder im